Mehr als 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hörten am Tag der Schrift den Referenten
aus Frankreich, den Niederlanden, China und Deutschland zu. In mehreren Räumen
der Berufsschule für Gestaltung waren zudem die Schriftarbeiten der Studenten
und Studentinnen der Fachklasse Typografische Gestalter zu sehen. Nachfolgend eine kurze
Zusammenfassung der Referate.
Berichte über den Tag der Schrift gibt es auch hier:
www.typeoff.ch |
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André Baldinger, in Paris wirkender Typograf schweizerischer Herkunft, sprach über universelle Schriften. Zum Beispiel seine eigenwillige Schrift Newut, in der die Dominanz der Mittellänge auf die Spitze getrieben ist. Erreicht wird dies im wesentlichen dadurch, dass die Versalien die Höhe der Mittellänge nicht überschreiten, einmal abgesehen von einzelnen An- und Abstrichen. Zum Zeichnen der Schrift sah sich Baldinger veranlasst, weil ihn bei mehrsprachigem Satz die unterschiedliche Grauwirkung immer sehr gestört hat, hervorgerufen durch die unterschiedliche Häufigkeit der Buchstaben mit Ober- und Unterlänge, nicht zu reden von den Versalien im deutschsprachigen Satz. Die Schrift ist unterdessen in den Varianten Classic, Tip und Plain erhältlich, jeweils in 3 Strickstärken. Schliesslich liess Baldinger die Anwesenden noch Einblick nehmen in sein neustes Projekt, die Beschriftung der neuen Empfangsanlagen des Eiffelturms. Er liess sich von der Eisenkonstruktion der Sehenswürdigkeit inspirieren und versuchte, die Verstrebungen für den Aufbau einer Schrift zu benutzen. Seine Skizzen zeigen, dass dies auch funktioniert, aber in der Umsetzung in die Praxis noch zahlreiche Knacknüsse bieten wird. www.ambplus.com
Gerard Unger ist kein seltener, und immer wieder gern gesehener Gast an schweizerischen Schrift- oder Typografiesymposien. Es sieht im Zeitungsdruck eine Art von typographischem Querfeldeinrennen, wo man zwar ein Fahrrad dabei hat, den grössten Teil der Strecke aber trotzdem zu Fuss zurücklegt. Auch der Zeitungsdruck war für die Schriften lange ein strapaziöses Terrain. Dem versuchte man durch das Schneiden spezieller Zeitungsschriften, von denen die Times und die Excelsior die bekanntesten Beispiele sind, zu begegnen. Allerdings hat sich der Zeitungsdruck in den letzten 20 Jahren qualitiativ massiv verbessert, so dass sich dieses Terrain nicht mehr so stark von andern Einsatzgebieten der Druckschriften unterscheidet. Viele Schriften, die nicht eigens für diesen Zweck geschnitten wurden, eignen sich heute vorzüglich für den Zeitungsdruck, wie Unger am Beispiel seiner Swift zeigte. Es kommt dabei auf offene Innenformen an, und vor allem sollte auch den Zwischenräumen viel Aufmerksamkeit gewidmet werden. In den Ohren puristischer Typografen musste es ketzerisch tönen, wenn ein erfolgreicher Schriftschöpfer wie Unger keine Probleme damit hat, wenn seine Gulliver elektronisch verschmälert wird; er hat das beim Zeichnen der Schrift sogar bereits berücksichtigt, weil er überzeugt ist, dass man heutzutage Schriften sollte interpretieren können.
Wang Chao Ying, chinesischer Forscher für alte Schriftzeichen, sorgte an der Tagung für ein besonderes Highlight. Er führte mit Beispielen in die Dongba-Schrift des Naxi-Volkes ein, das am Fusse des Himalaja im Süden Chinas lebt. Es handelt sich bei dieser Schrift um die einzige noch lebende Hieroglyphenschrift der Welt. Verblüffend war dabei, wie intuitiv die Schrift ist und wie auch von Sprachunkundigen mit wenig Phantasie die Bedeutung der Zeichen erahnt werden kann. Auf ganze 3 Monate veranschlagt Wang die Zeit, die es braucht, um die Schrift zu beherrschen. Eine Hieroglyphenschrift ist, da sie ja in der Regel Gegenstände abbildet, problemlos in der Lage, neue Begriffe einzuführen. Allerdings müssen die Naxi in der Schule die chinesische Schrift und Sprache lernen. Das matriarchalisch organisierte Volk pflegt aber seine eigene Schrift, seine Sprache und sein schamanisch geprägtes Kulturgut. Wang zeigte dann die Entwicklung der chinesischen Schriftzeichen auf, die sich von der ursprünglichen Darstellung von Bildsymbolen über die Jahrtausende in die heutige Form der abstrahierten Schriftzeichen gewandelt hat.
Volker Heim, hat sich während seines Studiums an der Schule für Gestaltung in Ravensburg zum Ziel gesetzt eine Schrift zu entwerfen, die auch noch mit 5 Punkt oder kleiner gut zu lesen ist. Eine Schrift in der Grösse einer Ameise also, die ihr auch den Namen gab: Laformica. Vorausgegangen war eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage, was die einzelnen Buchstaben zur Lesbarkeit einer Schrift beitragen. Daraus entwickelte er die Anforderungen, die an eine Schrift in kleinen Graden gestellt werden müssen: hohe Laufweite, hohe Mittellänge, tiefe Einschnitte an den An- und Abstrichen. Kritische Buchstaben wie das gemeine I oder L versah er mit An- oder Abstrichen, um Zweideutigkeiten zu vermeiden. Im Detail legte er viel Wert auf eine formale Übereinstimmung zwischen Versalien und Gemeinen bei den An- und Abstrichen, um ein homogenes Schriftbild zu erzielen. Da die Ziffern als Mediäval-Ziffern gestaltet sind, fügen Sie sich gut in das mittellängenbetonte Schriftbild. Sozusagen als Praxistest hat Heim eine Medikamentenpackung mit Laformica beschriftet. Der Beipackzettel ist ebenfalls in Laformica gesetzt und erzählt die Entstehungsgeschichte des Schriftentwurfs. Beim Packungsinhalt findet sich anstelle der Tabletten die Schrift im kompletten Alphabet. Es zeigt, dass es sich bei Laformica um mehr als nur einen Rekordversuch handelt. Die Schrift wirkt durchdacht und geschlossen. www.laformica.de
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