Samstag, 18. Oktober 2008
Volkshaus Zürich
Roger Chatelain: Der Beitrag der Romandie zur Typografie
Lukas Hartmann: Von ph zu f – 75 Jahre «Typografische Monatsblätter»
Philippe Apeloig: Vivo in Typo
Leonardo Sonnoli: A potato is not an egg
Theres Jörger und Susanne Stauss: Typografische Inszenierungen im Raum
Design und Gestaltung heisst, der Sache auf den Grund gehen und aus Konventionen ausbrechen. So könnte ein Fazit der Fachbeiträge am 20. Tag der Typografie lauten. Da auch gleich noch 75 Jahre «Typografische Monatsblätter / Revue suisse de l'imprimerie» zu feiern waren, galten zwei der Tagungsreferate dem Rückblick sowie der Bestandesaufnahme. comedia-Zentralsekretär Hans Kern konnte im Volkshaus Zürich an die 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer begrüssen.
Der Beitrag der Romandie zur Typografie
Roger Chatelain eröffnete den Reigen der Referate und knüpfte dabei bei den
unterschiedlichen
kulturellen Befindlichkeiten an, die zur Zeit der Herausgabe der Revue suisse de l'imprimerie
(RSI) in den Sprachregionen und damit auch in den Ansichten über typografische Zweckmässigkeit
geherrscht hatten. Schon 10 Jahre vor dem deutschschweizerischen Pendant Typografische
Monatsblätter erschienen, orientierte sich die RSI in den 25 Jahren ihres eigenständigen
Erscheinens von 1923 bis 1948 an der französischen Tradition der Typografie. «Der Kubus langweilt
uns, schmerzt das Auge, wir dulden ihn um unserer Bequemlichkeit willen, aber die Seele
möchte Schwünge und Poesie», schrieb der Lausanner Typografie-Lehrer Albert Javet 1944 in
der RSI in Anspielung an neue, auf das Bauhaus zurückgehende Ansichten. Ein Jahr später entbrannte
dann prompt eine Kontroverse, als der in Lausanne arbeitende, aus der alemannischen
Schweiz zugezogene junge Typograf Kurt Huber die im Welschland angewandte Typografie in
der RSI kurzerhand als «altmodisch» bezeichnete und einem «rhythmischen und logischen Aufbau»
das Wort sprach; statt «Unordnung und Willkür» verlangte er im Satz eine «wohltuende
Ordnung». Waren Hubers Ansichten für die einen Typografen der Welschschweiz pure Provokation,
verwiesen andere auf unterschiedliche Mentalitäten und fürchteten, dass solche Arbeiten bei
den welschen Druckereikunden schlecht ankommen würden. Als fruchtbares Ergebnis solcher
Kontroversen sieht der Referent die Herausbildung wichtiger Impulse für eine originär schweizerische
Spielart der Typografie, was 10 Jahre später als Schweizer Typografie ein Begriff wurde.
So gesehen erfolgte die Zusammenlegung der RSI mit den TM im Jahre 1948 in einem
Schlüsselmoment, wie Chatelain hervorhob. Der neuen, fusionierten Zeitschrift kam eine wirkungsvolle
Mittlerfunktion zwischen den Sprachregionen zuteil. Die Typografen der burgundischen
Schweiz kamen jetzt in Kontakt mit dem Schaffen von Ruder, Tschichold, Weingart und
den andern an den Deutschschweizer Fachschulen wirkenden Grössen. Die Welschschweiz hat
so den Schritt zur international gerühmten Schweizer Typografie rascher vollzogen als Frankreich,
wo sich die grosse Pariser Präsenz von Deutschschweizer Gestaltern wie Knapp, Widmer
oder Rudi Meier erst allmählich auszuwirken begann. Allerdings ist die französische Tradition
auch in der Romandie nicht restlos ausradiert worden. Das trifft insbesondere auf die Buchgestaltung
zu, zumal keine vergleichbare Region im französischen Sprachraum eine so grosse Dichte
an Buchverlagen aufzuweisen hat.
Der Beitrag der Welschschweiz zur Typografie erstreckt sich indessen auch auf die Herausgabe
einiger Standardwerke. Da ist zuvorderst der Guide du typographe zur erwähnen. Das unverzichtbare
Nachschlagwerk, wenn es um die mikrotypografische Pflege des Schriftsatzes geht, ist
seit 1943 bereits in der 6. Auflage erschienen. Mit Rencontres typographiques (2003) – Autor ist
der Referent selbst – werden die Protagonisten der Neuen Typografie vorgestellt; ein besonderes
Kapitel widmet sich den im Untergrund wirkenden Typografen der Résistance. In Pages épreuvées
et corrigées, erschienen 2006, wechseln sich typografische Erinnerungen mit der Präsentation
verschiedener Gestalter ab. Und natürlich haben die im 2-Jahr-Rhythmus durchgeführten
Journées romandes de la typographie ihr Teil zur Entwicklung der Typographie in der Welschschweiz
beigetragen.
Bereits eine der ersten Nummern der «TM» war der Fotografie gewidmet. 1977 demonstrierte Wolfgang Weingart mit einem Cover, der sich an eine bekannt Comics-Serie anlehnt, die assoziierende Wirkung des Bildes.
Von ph zu f: 75 Jahre Typografische Monatsblätter
Die Förderung der Berufsbildung stellte bei den Buchdrucker-Gewerkschaften schon immer
einer der Eckpunkte ihrer Aktivitäten dar. Daran erinnerte Lukas Hartmann, als er in die Zeit
zurückblendete, als der Schweizerische Typographenbund beschloss, mit den Typografischen
Monatsblättern eine Fachzeitschrift herauszugeben. Man befand sich im Jahr 1933, dem Jahr, da
in Deutschland nach der Machtübertragung an die Faschisten das Bauhaus endgültig geschlossen und
auch die Gewerkschaftsbewegung zerschlagen wurde. Und in Berlin wurden Bücher verbrannt.
Ausbildungsfragen spielten in den TM denn auch durchwegs immer eine grosse Rolle. Schon die
ersten Jahre zeigen eine Anlehnung an die Neue Typographie mit gleichzeitig starker Gewichtung
der Fotografie. Anfang der fünziger Jahre begann, nachdem die TM mit der 10 Jahre älteren,
französischsprachigen Schwester RSI zusammengelegt wurde, eine neue Epoche durch die
Übernahme der Schriftführung durch Rudolf Hostettler. Während 30 Jahren prägte er die Fachzeitschrift,
wobei er es verstanden habe, «zwischen dem lange schon herrschenden Zwist von
Traditionalisten und Modernen vermittelnd zu agieren». In der Kontroverse zwischen Tschichold
und Bill hielt er sich zurück, gab jedoch immer beiden Lagern ihren Raum. Hostettler habe schon früh
begriffen, dass es nicht die Typografie an sich gebe, «sondern dem jeweiligen Einsatz angepasste
Typografien», erklärte der Referent. Die Offenheit gegenüber Neuem hatte es Hostettler ermöglicht,
die Zeitschrift zur Plattform für viele junge Typografen zu machen. Gleichzeitig erhielten
die TM zunehmend eine internationale Ausrichtung. Die grossen technischen Umwälzungen
brachten es mit sich, dass die Ausbildung der jungen Berufsleute in diesen Jahren verstärkt zum
Thema wurden. Nach dem Tode Hostettlers 1982 übernahm Jean-Pierre Graber die Redaktionsleitung
der TM, der während seines ebenfalls 30-jährigen Wirkens das angetretene Erbe «nicht
nur verwaltet, sondern weitergeführt und ausgebaut» hat, wie Hartmann anerkennend vermerkte.
Unter der Ägide Grabers wurde Schluss gemacht mit der einstigen reinen Männerdomäne; jetzt
kamen zunehmend auch Frauen zum Wort. Der Referent, seit 2002 selbst redaktioneller Leiter
der Fachzeitschrift, sieht in der Gegenwart eine Herausforderung in der Gratwanderung, welche
die Veränderungen im Zielpublikum mit sich bringen. Es gelte, «einen vernünftigen Mix an Themen
zu finden, die sowohl unsere jungen Polygrafinnen und Polygrafen in den Lehrbetrieben als
auch die Absolventen der Hochschulen für Gestaltung und Kunst zu fesseln» vermöchten. Sein
Ziel sei es, den klaren Fokus auf Typografie, Schrift und Sprache beizubehalten; damit würden
die TM aus der Menge der Designzeitschriften als etwas Spezielles hervorstechen. Gleichwohl
müssten die TM thematisch ein weites Spektrum zu Fragen der Kommunikation und der Gestaltung
abzudecken versuchen. Bei aller inhaltlichen Qualität hänge aber das Überleben der TM
auch von profaneren Faktoren ab. Dazu brauche es nicht allein den Willen und den Idealismus
der Gewerkschaft, weiterhin die nötigen Mittel zur Herausgabe bereitzustellen, sowie möglichst
viele Abonnentinnen und Abonnenten. «Indem Sie mit praktischen und theoretischen Beiträgen
sorgen, dass in den TM weiterhin lesenswerte Beiträge zu Schrift, Typografie, Gestaltung und
Sprache, aber auch zur Designforschung veröffentlicht werden können», werde ebenso sehr ihr
Fortbestehen gesichert, spielte der Referent den Ball dem Publikum zu.
Plakat zum Weltkulturerbe Le Havre. Die kommunistische Verwaltung liess die Hafenstadt nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg von den Architekten Perret und Niemeyer in einer modernen Betonarchitektursprache wieder aufbauen. Apeloig nimmt im Plakat den typischen Gebäuderaster auf.
Philippe Apeloig: Vivo in Typo
Was unter einem Leben für Typografie und Design verstanden werden kann, erfuhren die
Tagungsteilnehmenden von Philippe Apeloig. Der mehrfach preisgekrönte Gestalter war bis vor
kurzem Künstlerischer Direktor des Musée du Louvre in Paris. Beim Herangehen an eine neue
Arbeit ist für ihn tiefschürfende Dokumentation unerlässlich, ja Grundvoraussetzung für eine
erfolgvreiche grafische Umsetzung. An die Wurzeln zurückzugehen, heisse es da, um aus dieser
Analyse dann eine grafische Botschaft entwickeln zu können. Bei deren Umsetzung lässt er sich
kaum durch Konventionen einschränken. Er liebt es, mit den Zufälligkeiten der Buchstaben zu
spielen, und findet, Leserlichkeit müsse keineswegs an erster Stelle stehen. «Typografie muss
herausfordern», deshalb dürfe und soll dem Betrachter zugemutet werden, ein wenig nach der
Aussage eines Plakates suchen zu müssen. «Typografie ist nicht statisch» lautet eine andere
Devise des Referenten. Buchstaben seien wie Tänzer auf der Bühne, oder sie könnten sogar zum
Hochseilakt antreten. Aber aufgepasst: dabei darf man nicht fallen! Die von ihm gezeigten
Arbeiten legten beredtes Zeugnis vom virtuosen Umgang mit typografischen Elementen ab.
Etwa, wenn mit einem Teppich simpler Klammern die Illusion von Wellen erzeugt wird oder mit
Satzzeichen textile Strukturen. Manchmal spielt Apeloig auch mit der Dualität zwischen alter
und neuer Typografie, was er am Beispiel von Drucksachen zeigte, die er für die Association des
Bibliothécaires de France geschaffen hat. Dabei bringt er den Wandel in der Medienwelt, das
Komplementäre von altem und neuem, zum Ausdruck. Wie setzte Apeloig das 100-Jahr-Jubiläum
des Louvre um? Wie kann der komplexe Fundus dieses berühmten Museums auf einem
Plakat offenbart werden? Der französische Designer bediente sich der Gesichter, wie sie auf unzähligen Louvre-Exponaten
zu finden sind, facettierte sie knapp und stellte daraus ein Mosaik zusammen. Dichter
sind der Reichtum dieses Museums und die verschiedenen Kunstepochen, die seine Schätze
umfassen, wohl nicht darzustellen.
Eine Arbeit, die «ehrfurchtsvolle Verantwortung erforderte...
Leonardo Sonnoli: A potato is not an egg
«In die Vergangenheit schauen, um Dinge für die Zukunft zu schaffen», bezeichnete der italienische
Designer Leonardo Sonnoli als sein Credo. Da er nicht nur Italiener, sondern auch Europäer
ist und sich als solcher versteht, betrachtet er das gesamteuropäische Erbe als Fundus, aus dem er
bei seinem Schaffen schöpft. Dabei geht er relativ unbefangen damit um und scheut sich beispielsweise
nicht, sich auch mal von Riefenstahls Olympiadeaufnahmen inspirieren zu lassen.
Angetan hat es ihm vor allem auch Literatur, die unsere Kommunikationskultur oder Konventionen
unserer Denkkultur radikal hinterfragen wie etwa Ionescus «Die kahle Sängerin» oder
Abotts «Flatland». Einen zentralen Einfluss üben die Vertreter der Avantgarde der 30er-Jahre auf
ihn aus. Das muss sich nicht auf die theoretische Auseinandersetzung mit deren Schaffen
beschränken; bei einem Aufenthalt in Moskau war es ihm wichtig, die Enkelin Rodschenkos aufzusuchen,
die ihm erlaubte, sich im ehemaligen Arbeitszimmer ihres Grossvaters auf dessen
Stuhl setzen zu dürfen. Sinnlichkeit scheint dem Referenten ohnehin ein wichtiger Impuls für
sein Schaffen zu sein. So konnte er ein unbedrucktes, aber aus lauter unterschiedlichen Papieren
bestehendes Buch so enthusiastisch durchblättern, dass man als Zuhörender fast schon glaubte,
die Nuancen der variierenden Papieroberflächen an den Fingern zu spüren. Materie ist dem Referenten
bei der Arbeit ohnehin wichtig, etwa wenn er versucht, den Materialien, für welche die
Inhalte stehen, in der Gestaltung Ausdruck zu verleihen. Und wenn es dann noch etwas ist, das
für die «Ewigkeit» gemacht wird, wie ein logoartiges Tatoo auf den Hals einer jungen Frau, dann
«fühlt man wirklich eine ehrfurchtsvolle Verantwortung bei der Arbeit», wie Sonnoli feststellte.
Diese Postkarte thematisiert die Verwandschaft der Sprachen Italienisch und Rätoromanisch. Der Wortlaut ist in Rätoromanisch, das Visuelle steht für das Italienische. Die Buchstaben wurden aus dünnem Karton gebaut.
Theres Jörger und Susanne Stauss: Typografische Inszenierungen im Raum
Als die Visuelle Gestalterin Theres Jörger und die Fotografin Susanne Stauss im
Jahre 2002 den Auftrag erhielten, für die rätoromanischen Literaturtage in Domat/Ems den visuellen Auftritt zu
gestalten, eröffnete sich ihnen eine Experimentierplattform. Sie nutzen sie, um «das zweidimensionale
Feld der Typografie zu verlassen und in den Raum zu gehen». Das heisst, sie
beschaffen sich Buchstaben als materialisierte Objekte oder stellen sie bei Bedarf selbst her und
ordnen sie im Raum an. Mittels der Fotografie werden diese dreidimensionalen Arrangements
wieder in die Fläche zurückgeholt, so dass sie in den nötigen Printprodukten (Plakate, Programmheft,
Flyer und Eintrittskarten) umgesetzt werden können. Die Inszenierungen nehmen
Bezug zum jährlich wechselnden Schwerpunktthema der Literaturtage und werden interdisziplinär,
als Zusammenarbeit von Grafik und Fotografie, angegangen. Denn im Zentrum der Fotografie
steht nicht das dokumentarische Abbild, sondern die Komposition des Bildes. Lichtstimmungen,
Momente des Zufalls und auch das Spiel mit der Schärfentiefe fliessen mit ein. Durch
dieses Zusammenspiel kommen Prozesse in Gang, die in eine überraschende, unvorhergesehene
Richtung gehen können. «Schreiben im Raum kommuniziert anders als das gewohnte Aneinanderreihen
von Schriftzeichen», umschrieben die Referentinnen eine ihrer Erfahrungen aus dem
Experiment. Die optimale Lesbarkeit der objekthaften Typografie trete in den Hintergrund, weil
die Objekte neben der eigentlichen Buchstabeninformation einen zusätzlichen kommunikativen
Gehalt haben. Das Material, Grössenunterschiede und die Form kommunizieren ebenso wie es
der Sprachkodex über Buchstaben und Wörter tut. Wenn so über die Jahre auch unterschiedlichste
Inszenierungen zustande gekommen sind, haben sie doch die räumliche Umsetzung
gemeinsam, so dass in den Druckerzeugnissen durchaus eine Art CI erkennbar ist. «Mehr und
mehr hat sich der Prozess als das Zentrale in unserer Arbeit herauskristallisiert», fassen die beiden
Frauen ihre Erfahrungen zusammen. Mit dieser Arbeit habe sich ihnen ein Experimentierfeld
aufgetan, das zeige, dass Typografie als Kommunikationsmittel sehr viel Unterschiedliches
bedeuten könne, was sie veranlasst hat, ein auftragsunabhängiges Forschungsprojekt zu diesem
Thema in Angriff zu nehmen.
© ScreenType · Validation: CSS | XHTML