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Tag der Typografie 2001 in «m»

Einstieg mit Provokation: «Arbeitet fürs Müllmuseum!»

Die Faszination, die das nicht Verstehbare auf uns ausübt, die junge Schweizer Grafik und das Informationssystem der Expo.02 waren drei der unterschiedlichen Themen, die am diesjährigen Tag der Typografie vorgestellt wurden.

Von René Hornung

Der diesjährige Tag der Typografie in Zürich begann provokativ – mit einer «Feier des Mülls». Der deutsche Dramaturg, Kunstvermittler und Sozialkritiker Bazon Brock erklärte, dass längst nicht mehr die Produktion, sondern die Entsorgung des Produzierten zum zentralen Problem unserer Gesellschaften geworden sei.

Deshalb seien «Kathedralen des Mülls» entstanden – er spielte insbesondere auf den Sarkophag ums AKW Tschernobyl an. Wir könnten mit dem Müllproblem nur zurecht kommen, wenn wir lernten, Müll zu verehren. Heute seien wir herausgefordert, ständig zu handeln, auch wenn wir überhaupt nichts von einer Sache verstehen – just das aber sei faszinierend. Die Bemühungen der Gestalter, Dauerhaftes zu schaffen, sei allerdings vergebens, denn zum Schluss überlebe nur der Müll. «Wir kennen Rom nur aus seinen Trümmern», zog Bazon Brock den Vergleich und so werde es dereinst auch den Gestaltern von heute ergehen – nur der Müll werde überleben. Das Ziel müsse also sein, «mit einer Arbeit ins Müllmuseum zu kommen».

Herta Müllers collagierte Gedichte Nach dieser kulturkritischen Einleitung präsentierten Thomas Bruggisser und Michel Fries Materialien aus ihrem – inzwischen ein Jahr alten – Band mit junger Schweizer Grafik. «Benzin», so der Buchtitel, ist eben in einer neuen Auflage erschienen und zeigt einheimisches grafisches Schaffen aus dem Zeitraum 1994 bis 2000. Dokumentiert sind zahlreiche, inzwischen bekannt gewordene Namen, darunter die heute Taschen produzierenden Gebrüder Freitag oder Cornel Windlin, der die Programme von Schauspielhaus und Schiffbau in Zürich gestaltet. Auffallend übrigens, welche Firmennamen die jungen Grafikbüros wählen: «Elektrosmog», «Norm» und «Mäusepolizei» sind neben vielen anderen ebenfalls im Buch vertreten.

Hans Peter Willberg, Grandseigneur der deutschen Gestalter, fand einiges von dem, was er bei der «Benzin»-Präsentation eben gesehen hatte, eher verwirrend. Der Lehrer stellte klar, dass er sich jedoch nicht anmasse, SchülerInnen zu bewerten. Aber er diskutiere jeweils darüber, welche Mittel wie angewandt werden und ob die Aussage stimme. Willberg gab einen Überblick über das grafische Schaffen seit dem Zweiten Weltkrieg, erinnerte an die Streitereien zwischen Tschichold und Bill, die sich gegenseitig Heimatstil- bzw. Kasernenhof-Grafik vorwarfen. «Doch», so meinte er, «letztlich hatten ja alle nur immer das Gleiche gesucht: Sicheren Boden.» Willberg spannte den Bogen von der strengen Rastergrafik – «die halt dem Krokodil den Schwanz abschnitt, wenn das Foto nicht in den Raster passte» – über die aus den USA hereinströmende, scheinbar regellose, aber wirkungsvolle und auch «schöne» Werbegrafik, bis zur Auflösung der Strukturen im Zuge der 68er-Bewegung. Und was sagt der Lehrer zur aktuellen Situation? Nach den heftigen Abstürzen, die Grafik und Typografie zu Beginn des Computerzeitalters erlebten, sei heute ein Standard erreicht, «so hoch wie nie». Klar, es werde viel «Scheiss» produziert, aber Willberg freut sich auch darüber, dass sich jetzt jeder Pizzabäcker überlegt, welche Schrift er fürs Plakat einsetzt. Das könne man «so wenig verbieten, wie den Japanern das Fotografieren». Willberg jedenfalls beobachtet neugierig, was weiter passiert.

Centre Pompidou
Ein bisschen wie selbstgemacht – provisorisch auf jeden Fall – wird die Beschriftung der Expo.02 daherkommen. Ruedi Baur erlaubte den über 300 TeilnehmerInnen des Tags der Typografie einen ersten Einblick. Dominieren wird eine Handschrift à la Newton, oft spielerisch eingesetzt und immer rasch auswechselbar. Piktogramme werden überraschen, denn sie sind von einem chinesischen Illustrator gezeichnet. Als Leitlinien führen rote Fahnen, Bahnen, Ballons durch die Ausstellung. Ruedi Baur präsentierte weitere Arbeiten: Eine Ausstellung, die neue Beschriftung im Centre Pompidou in Paris, das kommende Leitsystem im Berner Inselspital oder im künftigen Technologiezentrum in der ehemaligen Tages-Anzeiger-Druckerei. Diese Arbeit entsteht als integrale Zusammenarbeit zwischen Grafikdesigner, Innen- und Gartenarchitekt. Sie wird sicher noch Furore machen allein wegen der gezielten Dekonstruktion der Parkplätze.

Der Abschluss des Tages war Literarischem gewidmet. Die deutsche Schriftstellerin Herta Müller las aus ihrem Collagen-Buch «im Haarknoten wohnt eine Dame». André Heiz, der Designtheoretiker, las ein fulminantes Essay als Einleitung zum Projekt «Matrix». «Matrix» soll als Designsoftware, entwickelt von Oliver Emch und Caroline Grimm, für alle Designprozesse anwendbar werden: «Von der Konfitüre bis zur Kathedrale, und natürlich auch für ein grafisches/typografisches Werk», wie die AutorInnen ausführten.

 
 
Plakat 2001

Dem «Tag der Typografie» ist auch die neueste Doppelnummer der «Typografischen Monatsblätter» gewidmet. Die Ausgabe kostet Fr. 36.– und kann hier bestellt werden.