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Tag der Typografie 2002

Schriftgestaltung bis Zeitungsdesign

Der von comedia organisierte «Tag der Typografie» servierte am 16. November ein breites Themenfeld: Über Kulturgeschichte und Kunst, über Schrift- und Zeitungsdesign wurde referiert. Ein Teil der «Siemens»-Schriftfamilie. Volker Schnebel präsentiert die «Siemens»-Schrift.

René Hornung

Ist Geschriebenes in seiner Aussage eindeutig und unmissverständlich, oder kann Text wie eine aufmodulierte wächserne Nase gebogen und also verschieden verstanden werden? Gleich zu Beginn des diesjährigen Tages des Typografie forderte Prof. Peter Rusterholz, seit letztem Jahr Gastprofessor an der TU Berlin, die Zuhörer heraus. Rusterholz liess die Kulturgeschichte des Schreibens und des Buchdrucks Revue passieren und stellte schliesslich fest, dass – gemessen an den Aussagen von Bundesrätin Ruth Metzler, sie habe keine Zeit, Bücher zu lesen – die Schrift heute nicht mehr viel gelte. Bücherlesen sei für ein hohes Regierungsamt jedenfalls keine Voraussetzung.

Rusterholz zitierte Martin Luther: Der hatte den Begriff der «wächsernen Nase der Schrift» geprägt, um damit zu sagen, dass Geschriebenes mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen belegt werden kann. Jede Generation lege Texte neu aus, immer werde Geschriebenes im Kontext der gerade geltenden kulturellen Werte wahrgenommen – heute logischerweise im Umfeld der virtuellen Welt.

Rusterholz fand den Streit zwischen «alter Schrift» und «neuem Medienzeitalter» allerdings unerquicklich, denn sowohl die unkritisch zukunftsgläubigen Thesen (von Autoren wie Nicholas Negroponte) als auch die apokalyptischen Visionen (von Paul Virilio) führen laut Rusterholz nicht mehr weiter. Wichtig sei, dass die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine (resp. Computer) weiterhin gemacht werde. Klar sei auch, dass sich die Wahrnehmung der Menschen im Umfeld der Medien und des Computers verändern: «Dasein, Bewusstsein und Medien beeinflussen sich heute gegenseitig», meinte Rusterholz. Ein Medium präge immer auch den Inhalt, doch das Medium allein sei noch keine Botschaft, widersprach er Marshall McLuhan. Bei allen «wächsernen Nasen» blieben Typografie und Lettern die Grundlage für das Basiswissen unserer Gesellschaften, deshalb freue er sich über gut gestaltete Druckwerke.

Eigene Schrift für Siemens
Aus den kulturgeschichtlichen Höhen holten Hans-Jürg Hunziker und Volker Schnebel das Publikum auf eine gestalterische und technische Ebene zurück: Wie kreiert man heute eine neue Schrift? Der in Paris arbeitende Hans-Jürg Hunziker entwarf für Siemens eine neue Hausschrift und ging dabei so vor, wie er es bei seinem Lehrmeister Adrian Frutiger gelernt hatte. «Ich bin der Backsteinbrenner, die anderen bauen das Haus.» Hunziker schilderte den Entwurfsprozess seiner drei Schriftfamilien, die auf klassischen Vorbildern fussen und Teil des gesamten Corporate Designs sind. Die Vorgaben zum grafischen Einsatz der Schriften sind bewusst recht frei gehalten.

Volker Schnebel fand es wichtig, dass eine grosse Firma auch eine eigene Schrift habe, das sei nicht zuletzt aus Copyright-Gründen wesentlich einfacher. Schnebel, der Hunzikers Entwürfe computergestützt umsetzte, schilderte, welch praktische Probleme sich beispielsweise beim Umrechnen eines Normalschnittes in einen Bold- oder Black-Schnitt ergeben. Eine automatische Umrechnung ohne minuziöse nachträgliche Korrekturen funktioniert nicht. Dazu kommen Anpassungen für einen sauberen Tabellensatz oder für kursive Auszeichnungen. Mühe machen auch die noch immer nicht vereinheitlichten technischen Standards von PostScript- und TrueType-Schriften, die hoffentlich bald zum einheitlichen OpenType-Format werden.

Die theoretischen Grundlagen zu solchen technischen Prozessen rund um einen Schriftaufbau stellt die neue CD vor, die als Ergänzung zum comedia-Lehrmittel «Typografie am Bildschirm» entstanden ist. Richard Frick, Samuel Marty und Markus Junker stellten ihre neue «Scheibe» vor und erstaunten das Publikum mit den vielen Features, die ein E-learning-Projekt beinhaltet: Praktische Übungen mit umgehend sichtbaren Resultaten samt Kontrollfragen sind hier eingebaut.

Was macht eine Zeitung seriös?
Die beiden Londoner Zeitungsdesigner Simon Esterson und Marc Porter – die unter anderem die «NZZ am Sonntag» entworfen hatten – gaben dem Publikum einen Einblick in ihre Arbeiten und erklärten, was in der Wahrnehmung der Leserschaft – je nach Land unterschiedlich – mit einem «seriösen» Blatt resp. mit einer Boulevardzeitung in Verbindung gebracht wird. Die Grenzen sind heute allerdings verwischt: «Seriöse» Zeitungen verzichten nicht mehr auf Grotesk-Schriften, die wir üblicherweise mit Boulevardstories assoziieren. Auch grossflächige Bilder sind in der «seriösen» Presse heute Alltag. Während in England ein Tabloid-Format mit Boulevard in Verbindung gebracht wird, sind die «seriösen» spanischen Zeitungen und die französische «Libération» auf kleinem Format gedruckt.

Esterson und Porter zeigten auch Entwürfe für die «NZZ am Sonntag», bis hin zu jenem Titel, der nur mit den Kleinbuchstaben «nzzs» auskommen wollte, das «s» farblich unterschieden. «Sie können sich vorstellen, dass dieser Entwurf nicht lange überlebte», witzelten die Engländer. Mit dem jetzigen Aussehen wolle man die intellektuelle Hartnäckigkeit der NZZ zum Ausdruck bringen und demonstrieren, dass es zuerst um Information und erst in zweiter Linie um Unterhaltung gehe. Ein klares Gestaltungsprinzip gilt auch für die Aufschlagseiten der Bünde, die auf einer identischen Typografie basieren, aber mit unterschiedlicher Bildplatzierung einen grossen Gestaltungsraum offen lassen.

In Zukunft, so prognostizierten die Londoner Gestalter, werde ein- und dieselbe Zeitung unterschiedliche Layouts aufweisen, mal mehr magazinhaft, mal mehr boulevardesk. Das sei nötig, denn die Zeitungen müssten den unterschiedlichen Interessen vermehrt entgegenkommen, «schliesslich sind Zeitungen längst keine primären Informationsquellen mehr». Esterson und Porter nannten das Beispiel des britischen «Guardian»: Dessen Internetsite zählt täglich 6 Mio. Hits, die gedruckte Zeitung bringt es «nur» auf eine halbe Million Leser. Das Fazit: «Die Leute wissen, wenn sie eine Zeitung aufschlagen bereits, was passiert ist. Im gedruckten suchen sie die Hintergrundinformation.»

Logo nach den Prinzipien der 12-Ton-Musik
Im letzten Teil wagte sich der «Tag der Typografie» in die Gefilde der Kunst. Walter Bohatsch und German Toro-Pérez (ersterer Gestalter, letzterer Musiker) haben im Auftrag des Wiener Arnold-Schönberg-Zentrums ein neues Logo erstellt und Bohatsch hat sich in der Gestaltung an die Prinzipien der Schönbergschen 12-Ton-Musik gehalten, was wiederum Toro-Pérez zu Kompositionen angeregt hat. So sind – computergestützt – gemeinsame Werke entstanden, grafisch-musikalische Kompositionen, die ganz gegen alle aktuellen Seh- und Hörgewohnheiten herausfordern: Langsame Abläufe, strenge Bildkompositionen und Einzeltöne bis hin zum Rauschen verlangen Ruhe und Konzentration, etwas, das am Ende des «Tages der Typografie» nicht mehr alle aufzubringen in der Lage waren.

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